In diesem Interview spricht Helene Schiffbänker, Senior Researcher in der Forschungsgruppe TIP am Institut POLICIES bei JOANNEUM RESEARCH, über ihre Arbeit im Projekt B.PREPARED.
Eine Expertin für Genderfragen in einem Projekt, in dem es um Notfallmanagement geht – ist das nicht ungewöhnlich?
Unverhofft kommt oft. Ja, es war auch für mich unerwartet, als ich von Kolleg*innen des Instituts DIGITAL gefragt wurde, mir Gedanken über die Relevanz von Gender im Notfallmanagement zu machen. Das war im Zuge der Beantragung des Projekts B.PREPARED im Rahmen des Förderprogramms KIRAS.
Aber gerade das Einbringen von Gender-Wissen in forschungs-praktische Kontexte ist mir in meiner Arbeit ein großes Anliegen. Ich befasse mich seit über zwei Jahrzehnte mit der Bearbeitung von Gender-Fragen in Studien, in Evaluierungen und im Design von Förderprogrammen. Typische Fragestellungen dabei sind: Wie kann der Frauenanteil in bestimmten Beschäftigungsfeldern erhöht werden? Was können Organisationen tun, damit sich mehr Frauen in Bereichen etablieren, in denen sie bislang unterrepräsentiert sind? Es geht also um die Repräsentanz von Frauen, und darum, was Organisationen dazu beitragen können, dass mehr Frauen dort tätig sind oder in Führungspositionen kommen. Schließlich geht es auch darum, wem Forschungsergebnisse nutzen und wie weit dabei unterschiedliche Nutzer*innen-Gruppen mitgedacht werden. Vermeiden wollen wir die sogenannte „Ich-Methodik“, mit der (technische) Lösungen entwickelt werden, in denen sich Forscher, Designer oder Ingenieure (sic!) als typische Nutzende verstehen und ihr eigenes Weltbild einbringen (Franklin 2021). Sie entwickeln dann Produkte auf der Basis ihrer Bedürfnisse, während jene von weiblichen, behinderten oder älteren Menschen oft nicht vertreten und berücksichtigt werden. Das kann zu einer Technologieentwicklung führen, die für spezifische Zielgruppen nicht geeignet ist; dies gilt es im Projekt B.PREPARED zu vermeiden.
Die Mitarbeit an B.PREPARED erschien mir daher ein spannendes Anliegen, auch wenn das Thema Notfallmanagement für mich gänzliches Neuland war.
Was ist mit Gender gemeint, und wo kann Gender in diesem Projekt relevant sein?
Gender meint das ‚Geschlecht‘ auf zwei Ebenen: Im Englischen gibt es ‚sex‘, womit biologisch bedingte Unterschiede gemeint sind, etwa anatomische bzw. physiologische Unterschiede (bei Frauen, Männer, Diversen Personen). ‚Gender‘ hingegen meint das soziale Geschlecht und beschreibt, wie Frauen und Männern unterschiedliche Rollen, Verantwortlichkeiten, Grenzen, Erwartungen, Chancen und Bedürfnisse zugewiesen werden. Eine genderspezifische Zuschreibung wäre beispielsweise, dass Männer rational sind und Frauen emotional. Dieses soziale Geschlecht (Gender) ist veränderlich und kontextabhängig (historisch, kulturell und geographisch); Gender und die damit verbundenen Rollen, Normen und Vorstellungen unterliegen einem ständigen historischen Wandel und sind damit veränderbar. Wenn wir von ‘Gender‘ sprechen, meinen wir beide Ebenen.
Vor diesem Hintergrund lassen sich unterschiedliche Interventions-Ebenen identifizieren, in denen Gender relevant sein kann.
- Analyse der IST-Situation: Ein erster notwendiger Schritt ist die Frage, wie die Geschlechter-Verteilung (Repräsentanz) in jeweiligen Forschungsbereich aussieht. Im Projekt B.PREPARED kann der Frauenanteil auf unterschiedlichen Ebenen ausgewiesen werden: der Frauenanteil im Notfallmanagement allgemein; in den jeweils beteiligten Organisationen (nach Funktionen) und natürlich im Projektteam. Denn ein ausreichend hoher Frauenanteil in einem Team ist wichtig, damit Frauen – und andere unterrepräsentierte Gruppen – ihre Erfahrungen und Fragen einbringen und diverse Anliegen in der Projektumsetzung berücksichtigt werden können.
- Bewusstseinsbildung: Ein nächster wichtiger Schritt ist die Schaffung von Gender-Sensibilität im Forschungs-Team. Wichtig sind hier Hinweise, warum Gender relevant ist. Wo stellt in unserer Gesellschaft das männliche Verhalten die Norm dar? Wo werden Lebenswirklichkeiten von Frauen als abweichend (von der männlichen Norm) empfunden? Hierfür sollten im Kontext des Projekts B.PREPARED konkrete Beispiele gefunden werden.
- Gender im Forschungsdesign /-inhalt: Gender-relevante Aspekte werden konkret im Projektdesign von B.PREPARED berücksichtigt, um die Interessen und Bedürfnisse aller Geschlechter gleichermaßen abzudecken, etwa in dem folgende gender-relevante Fragen mitgedacht werden:
- Sind Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern beispielsweise hinsichtlich Kraft, Sehen, Hören, Schmerzempfinden im Rahmen des Projekts relevant?
- Wo gibt es aufgrund des sozialen Geschlechts unterschiedliche Gefährdungsrisiken?
- Wer nutzt die Forschungsergebnisse bzw. wem dienen sie? Welche unterschiedlichen Bedürfnisse haben Nutzende? Worauf achten Frauen besonders, wenn es zu Warnungen kommt? Oder gibt es Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Frauen und Männern? Genderunterschiede können auf andere soziale Unterschiede hinweisen.
- Welche unterschiedlichen Kompetenzen und Erwartungen haben Nutzende an das Dashboard oder die Notfallkommunikation?
Worin bestehen Ihre Aufgaben im Projekt B.PREPARED?
Eine erste Herausforderung war für mich, das Projekt und seine Zielsetzungen zu erfassen, um Ansatzpunkte für Gender-Relevanz identifizieren zu können. Auf der praktischen Ebene war wichtig, die zentralen Fragestellungen zu verstehen, häufig verwendete Abkürzungen und Akronyme zu entschlüsseln und so fähig zu werden, das Gender-Wissen an einer geeigneten Stelle einzubringen. Es braucht Zeit, bis sich so unterschiedliche Kompetenzträger*innen wie IT-Fachleute, Forschende, Feuerwehr-Vertretungen etc gegenseitig verstehen und eine gute Diskussion möglich wird.
Ich habe die Arbeit bisher als sehr spannend empfunden, und es ist immer wieder herausfordernd, die richtige Stelle im Forschungsprozess zu finden, um das Gender-Wissen sinnvoll einzubringen. Begrenzend waren diesbezüglich die zeitlichen Ressourcen, die für die Gender-Arbeit im Rahmen des Projekts zur Verfügung standen.
Unverhofft kommt – hoffentlich nicht – oft bei Notfällen. Doch wenn ein Notfallmanagement erforderlich ist, dann ist es wichtig, darauf vorbereitet zu sein, welche spezifischen Anforderungen Frauen, Männer und andere Subgruppen haben und wie sie adressiert werden sollen.
Ein erster Arbeitsschritt hinsichtlich Gender-Relevanz war im Projekt B.PREPARED eine Sichtung relevanter Literatur, um Anhaltspunkte für mögliche Gender-Anknüpfungspunkte zu erhalten. Hier zeigen sich folgende zentralen Befunde:
- Frauen und Männer sowie andere gesellschaftliche Subgruppen sind in Notfallsituationen unterschiedlich betroffen (Farhall et.al. 2022). Die Unterscheidung nach dem biologischen Geschlecht ist wesentlich, weil Frauen und Männer häufig Unterschiede in Hinblick auf Gefährdungen aufweisen. Eine Studie in Indien hat beispielsweise gezeigt, dass bei der Gaskatastrophe in Bhopal 1984 Frauen und Kinder aufgrund ihres sozialen und wirtschaftlichen Status und eines entsprechend schlechteren Zugangs zur Gesundheitsversorgung unverhältnismäßig stark betroffen waren (Fothergill 1996). Ungleichheit entsteht hier also nicht nur durch das Geschlecht, sondern überschneidet sich (englisch: intersect) mit einem weiteren Faktor, nämlich der sozio-ökonomische Situation, man spricht daher von intersektionaler Ungleichheit.
- Gleichzeitig hat die Risikoforschung gezeigt, dass Frauen Gefahren in Bezug auf Technologien, Umweltverschmutzung und Gesundheitsrisiken eher wahrnehmen (Boholm 1998). Naturkatastrophen und andere Krisen werden ja nach sozialem Kontext unterschiedlich erlebt, abhängig von Bildung, Alter, Geschlecht, was in der Notfallkommunikation berücksichtigt werden soll (West & Orr 2007). Wichtig ist hier wiederum, Frauen stärker in Planung einbeziehen, denn sie bringen unterschiedliche Erfahrungen und Bedürfnisse ein (Farhall, Gibson& Vincent, 2022).
- In der Literatur finden sich weitere spezifische Erkenntnisse bezüglich Unterschiede zwischen Frauen und Männern, etwa bei der Farbwahrnehmung (Bernstein et al 2010). Dies kann unter anderem bedingt ist durch unterschiedliche Pigmentierung der Makula. Im Projekt kann das relevant sein in Hinblick auf die Gestaltung von Warnhinweisen in der Notfallkommunikation (Wogalter et. al. 2002).
- Auch wird festgestellt, dass Frauen, die in Einsatzorganisationen wie der Feuerwehr tätig sind, andere Bedürfnisse haben: Eine neue amerikanische Studie (McQuerry et. al. 2023) zeigt, dass weibliche Feuerwehrleute Schutzkleidung mit erheblichen Passproblemen tragen, was nicht nur ihren Komfort und ihre Bewegungsfreiheit einschränkt, sondern auch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellt.
In einem weiteren Schritt wird mit den Kolleg*innen im Projektverlauf immer wieder diskutiert, wo diese Erkenntnisse sowie andere Gender-Aspekte im Forschungsvorhaben inhaltlich relevant sein können. Dies wurde etwa bei der Erstellung von Leitfäden für die Befragung berücksichtigt.
Nicht zuletzt ist wichtig, die Gender-Relevanz auch auf der technischen Ebene mitzudenken: Denn ein wesentliches Ergebnis von B.PREPARED wird ein Dashboard für Notfallmanagement sein. Das Projektteam widmet sich daher auch der Frage, welche genderspezifische Anforderungen an die Software gegeben sind bzw. welche Rolle Gender bei der Gestaltung des Dashboards haben kann. Zu beachten ist, welche Anforderungen Frauen haben, die das zu entwickelnde Dashboard nutzen bzw. ob Frauen, die bei Einsatzorganisationen tätig sind, Lagebilder ähnlich interpretieren wie Männer. Wir werden versuchen, im Rahmen der Übungen, die wir im Projekt durchführen werden, diese Einschätzung mithilfe von Teilnehmerinnen der Einsatzorganisationen zu überprüfen. Somit wird bei den Teilnehmenden an den im Projekt B.PREPARED durchgeführten Workshops und Übungen soweit möglich auf eine ausreichende Repräsentanz von Frauen (nach Möglichkeit noch unterschieden nach Alter und IT-Skills) geachtet.
Ein weiterer Schritt ist die Bewusstsein-Arbeit zur Vermittlung von Gender-Awareness innerhalb des Konsortiums: Ich habe bei einem Projekt-Workshop einen Gender-Input gegeben und wir haben uns entschieden, eine gendersensible Schreibweise in allen internen und nach außen gehenden Textsorten anzuwenden: Das Projektteam hat sich auf die Schreibweise mit *, also beispielsweise Mitarbeiter*innen, geeinigt.
Schließlich adressieren wir auch relevante Stakeholder: Es wird auch die Geschlechterverteilung in den B.PREPARED Partnerorganisationen reflektiert, etwa der geringe Frauenanteil bei den Feuerwehren. Worin unterscheiden sich die Anforderungen an männliche und weibliche Mitglieder? Wie können Frauen bei Feuerwehren gleich gut integriert werden? Beispielsweise bedarf es an Schutzausrüstung und Dienstkleidung, die den weiblichen Proportionen entsprechen, wie es etwa im Gesundheitswesen bereits selbstverständlich ist. Unser Ziel ist, im Projektkonsortium ein generelles Bewusstsein für Ungleichheiten zu schaffen und mögliche Lösungswege aufzuzeigen.
Zitierte Literatur
Bernstein, P. S., Delori, F. C., Richer, S., van Kuijk, F. J., & Wenzel, A. J. (2010). The value of measurement of macular carotenoid pigment optical densities and distributions in age-related macular degeneration and other retinal disorders. Vision research, 50(7), 716–728, https://doi.org/10.1016/j.visres.2009.10.014
Boholm, A. (1998) Comparative studies of risk perception: a review of twenty years of research, Journal of Risk Research, 1:2, 135-163,
Farhall, K., Gibson, E., Vincent, N. (2022): Embedding gender equality in emergency management planning. In: Australian Journal of Emergency Management. 37, 1
Fothergill, A. (1996). Gender, Risk, and Disaster. International Journal of Mass Emergencies & Disasters, 14(1), 33–56. https://doi.org/10.1177/028072709601400103
Franklin, Rebecca C. (2021): Black workers in Silicon Valley: macro and micro boundaries. In Ethnic and Racial Studies 45(1).
McQuerry, M., Kwon C., Poley-Bogan, M. (2023), Female firefighters’ increased risk of occupational exposure due to ill-fitting personal protective clothing. Front. Mater. 10:1175559.doi: 10.3389/fmats.2023.1175559
West, D., Orr, M. (2007): Race, Gender, and Communications in Natural Disasters. In: Policy Studies Journal; Nov 2007; 35, 4; S. 581
Wogalter, M. S., Conzola, V. C., & Smith-Jackson, T. L. (2002). Research-based guidelines for warning design and evaluation. Applied ergonomics, 33(3), 219–230. https://doi.org/10.1016/s0003-6870(02)00009-1